Unter anderem verbringe ich meine Zeit in der Quasi-Isolation mit Lesen. Aktuell ein Buch über die US-amerikanische Geschichte. “Diese Wahrheiten. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika” von Jill Lepore.
Die deutsche Übersetzung des Buches ist im C.H. Beck Verlag in Zusammenarbeit mit der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung erschienen. Einige Bücher aus dem Fundus habe ich bereits gelesen. Wer Spaß an Geschichte hat und sich von Büchern >1000 Seiten nicht abschrecken lässt, ist dort aus meiner Sicht ganz gut aufgehoben.
Jedenfalls, zurück zu dem Buch kommend, steht auf Seite 960:
“Eisenhower wie auch Hobby hielten kostenlose Impfungen gegen Polio für sozialisierte Medizin, und Hobby sprach sich auch gegen die kostenlose Ausgabe des Impfstoffs aus, eine Position, die Millionen von Kindern der Krankheit ausgesetzt hätte. Hobby musste schließlich nach einem Skandal in diesem Zusammenhang zurücktreten.”
Dwight D. Eisenhower war zu der Zeit Präsident der USA und Oveta Culp Hobby Ministerin für Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt.
Mir gefiel der letzte Satz oben nicht, d.h. der war mir zu schwammig.
Daher mal ein Blick auf die deutsche Wikipedia-Seite. Dort steht:
Am 11. April 1953 wurde sie von Präsident Dwight D. Eisenhower als Ministerin für Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt in dessen Kabinett berufen. Sie war damit die erste Frau in einem Ministeramt. Zu ihren ersten Amtshandlungen gehörte die Einführung der Polio-Schutzimpfung. Die Ausweitung medizinischer Einrichtungen, wie Krankenhäusern, Pflegeheimen und Rehabilitationszentren war ihr ein Anliegen. Auch ein Sozialversicherungsplan wurde während ihrer Amtszeit entwickelt. Aufgrund der hohen Geburtenrate der vorhergehenden Jahre (Baby Boom) musste sie neue Schulen bauen lassen. Da ihr Gatte schwer erkrankt war, trat sie im Juli 1955 von ihrem Amt zurück.
Das klingt irgendwie anders.
Dann noch ein Blick auf die englische Wikipedia-Seite:
“President Dwight D. Eisenhower named her head of the Federal Security Agency, a non-cabinet post, and she was invited to sit in on cabinet meetings. Soon, on April 11, 1953, she became the first secretary, and first female secretary, of the new Department of Health, Education, and Welfare, which later became the Department of Health and Human Services.[6] This was her second time organizing a new government agency. Among other decisions and actions at HEW, she made the decision to approve Jonas Salk’s polio vaccine.
Culp attempted to restructure Social Security payroll taxes (FICA and SECA), and was met with strong opposition. She resigned her post in 1955. At the time of her resignation she was embroiled in controversies related to the polio vaccine Cutter Incident. Back in Houston, Hobby resumed her position with the Houston Post as president and editor and cared for her ailing husband.”
Der “Cutter Incident”, den ich hier jetzt nicht weiter verlinke bzw. zitiere, dreht sich um einen “Skandal” im Zusammenhang mit der Polio-Impfung, bei der 120.000 Polio-Impfungen aktive Viren enthielten, was zu Folgeerkrankungen und einer Epidemie führte. Später stellt sich heraus, dass nicht nur das Unternehmen mit diesen Chargen, sondern auch weitere Unternehmen Schwierigkeiten hatten, den Virus komplett zu deaktivieren.
Bei Lepore in dem Buch war sie – so klingt es – eine Anti-Sozialistin und wäre für diese Überzeugung auch bereit gewesen, über Kinderleichen zu gehen. Letztlich hat sie diese Einstellung aber den Job gekostet.
Bei der deutschen Wikipedia-Version ist sie eine kleine Heilige.
Bei der englischen Wikipedia-Version ist sie weder das eine, noch das andere.
Man könnte jetzt versuchen, weiter zu recherchieren. Letztlich ist sie mir aber im Kontext des Gesamtbuches viel zu unwichtig, als dass ich da jetzt weiter Zeit drauf verwenden würde wollen. Schön ist aber, dass mein “Riecher” ganz richtig war, als ich über diese schwammige und suggestive Formulierung in dem Buch gestolpert bin.
Übrigens eine aus meiner Sicht sehr häufig anzutreffende Eigenart des deutschen Journalismus. Stellenweise einfach nur noch ätzend, wie sehr man dort mit Meinung, Meinung und nochmals Meinung im Subtext bombadiert wird, statt sauber und sachlich Fakten zu liefern. Neulich bei Tagesschau.de war ein Artikel über die relativ hohe Todesrate bei Afroamerikanern in den USA. Der war so unfassbar schlecht, den habe ich in einem kleinen Agro-Anfall mal rauskopiert und zerlegt. Den kleinen Anfall online zu stellen habe ich mir dann aber doch erspart 😉 Ein tolles Gegenbeispiel im positiven Sinne ist aus meiner Sicht übrigens der wöchentlich erscheinende Economist aus UK. So geht Journalismus.
Abschließend noch etwas Werbung für ein Buch aus der oben genannten Reihe: “Die Unterwerfung der Welt” von Wolfgang Reinhard. Richtig gut. Aber auch ein richtig dicker Brocken.
Gar nicht empfehlen kann ich aus derselben Reihe “Die Verwandlung der Welt” von Jürgen Osterhammel. Da geht es um das 19. Jahrhundert. Aber der Stil ist eine einzige Aneinanderreihung von kleinen Artikeln. Das ist überhaupt nicht mein Geschmack, hat was von Klolektüre. Für jedes Geschäft ein eigener Artikel. Der Osterhammel wird mir in einem “kommenden Projekt” wieder begegnen, mal sehen. Dort scheint es soweit mit Leseprobe bewertbar anders zu laufen. Und da geht es um das ganz große Rad: “Die Geschichte der Welt”. Es wird ein Fest. Hoffentlich 😉